Lichtpunkt, 1995/2001

Zur Generativen Fotografie Karl Martin Holzhäusers

Fotografie als eine Form der Kunst hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Es gibt nicht nur immer mehr Künstler, die in diesem Bereich arbeiten, auch die Variationsbreite der Arbeiten ist größer geworden. Die Folge ist national wie international ein zunehmendes Interesse von Institutionen, Ausstellungsmachern und Galerien an der künstlerischen Auseinandersetzung mit Fotografie. Nachdem die künstlerische Auseinandersetzung mit fotografischer Technik und Ausdrucksweise zunächst als vorübergehende Modeerscheinung angesehen wurde, findet Fotokunst heute durchweg große Beachtung. Der Zuwachs an Fotokünstlern (fotografischen Malern, Performern, Videokünstlern), der auf Kunstmessen und in internationalen Galerien während der letzten Jahre zu beobachten ist, und die zunehmende Anerkennung der Kunstfotografie wie beispielsweise die von Bernd und Hilla Becher und ihrer Schüler oder etwa die des Otto Steinert-Schülers und bisher als Dokumentarist der Düsseldorfer Kunstszene bekannten Fotografen Bernd Jansen sprechen hier für sich.
Hält man sich nun die zum Teil millionenhohen Auflagen der unzähligen Printmedien auf dem heutigen internationalen Markt in Verbindung mit den „beweglichen Bildern“ von Film, Fernsehen und Video auf der Millionenzahl von Leinwänden und Bildschirmen in aller Welt vor Augen, wird man förmlich von einer Flut von Bildern und damit von Vorstellungen, Eindrücken und Wahrnehmungen überrollt. Damit erhält die visuelle Information eine Bedeutung, die etwa zur Zeit der Aufklärung der Rolle der Vernunft eingeräumt wurde. Zugleich beginnt damit aber die Diskussion darüber, ob das, was wir sehen, oder das, was wir denken, die eigentliche Wahrheit ist. Die abendländische Philosophie hat sich seit Platon und Aristoteles für das Denken entschieden - der moderne Mensch scheint aber dem Optischen den Vorzug gegeben zu haben und noch weitgehend zu geben. Er folgt unreflektiert der Quantität belangloser und bedeutungsloser Bilder, die nur Abbilder einer scheinbaren Wirklichkeit sind.
Von daher ist die Suche nach einem neuen Realitätsbegriff eines der Hauptanliegen der modernen Kunst überhaupt. Es kann nicht mehr nur darum gehen, ob in einem Bild - sei es ein Gemälde oder auch eine Fotografie - etwas Figuratives oder Abstraktes enthält, ob damit etwas erkennbar, begreifbar ist oder eben nicht, ob sich dadurch der Charakter des Bildes erschließt, - sondern es geht ausschließlich darum, dem Bild eine reale Gültigkeit zu geben, ohne daß es etwas ab-bildet. Es geht um das Bild als einen autonomen Gegenstand, der seinen Sinn in sich selbst und „an sich“ hat.
Der Bielefelder Fotografieprofessor Karl Martin Holzhäuser beschäftigt sich seit Jahren mit eben dieser Frage. Seine mit Licht „gemalten“ Bilder oder die hier abgebildete Lichtprojektion mit dem Titel „Lichtpunkt“ aus dem Jahre 1995, für die Sozial-Aktien-Gesellschaft Bielefeld im Jahre 2001 zur Veröffentlichung autorisiert, zeigen keine Ausschnitte der Umwelt, wie sie in der abbildenden Fotografie üblich sind. Sie sind autonome, frei und gestisch mit farbigem Licht im Fotolabor generierte Bilder auf fotografischem Material. Es sind mit den Mitteln der Fototechnik erzeugte „generative“ Bilder, die im Dunklen entstehen, deren Ausdruckskraft erst nach der Entwicklung und bei Licht besehen deutlich werden, es sind Unikate, die nicht wiederholbar sind. So widersprechen sie der grundsätzlichen Eigenschaft der im Prinzip unendlichen Reproduzierbarkeit des Fotonegativs, und so reflektiert Holzhäuser die Bedeutung der Fotografie „an sich“. Er bedient sich ihrer technischen Voraussetzungen, er experimentiert und trägt durch seine Generative Fotografie zu einem neuen Verständnis der Realität bei.
Die Generative Fotografie ist eine künstlerische fotografische Bewegung, die die Aufgabe und Bedeutung der fotografischen Disziplin reflektiert, sich mit ihrer eigenen Struktur auseinandersetzt - und die 1968 mit einer Ausstellung in Bielefeld ihren Anfang nahm. Initiiert wurde diese Ausstellung von Gottfried Jäger, heute Professor am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld, und beteiligt waren die „generativen Fotografen“ Pierre Cordier, Hein Gravenhorst und der damalige Lehrer Holzhäusers, Kilian Breier.

Andreas Beaugrand